Reinickendorfer Industriegeschichte-IV 2021-10-17 (Bericht)

Zum vierten Teil der Industrieradtouren in Reinickendorf hatten das Berlin-brandenburgische Wirtschaftsarchiv und die Stadtteilgruppe Reinickendorf des ADFC am 17. Oktober 2021 aufgerufen. Bei kühlem Wetter trafen sich 17 geschichtlich Interessierte am alten Werkstor der Borsigwerke in Tegel.

Mit einem geschichtlichen Abriss der Entwicklung der Firma Borsig begann es, anschaulich dargelegt an den unterschiedlichen Baustilen der einzelnen Gebäude. Sehr modern mutet bis heute der im Jahr 1924 fertiggestellte Borsigturm an – das erste Hochaus in Berlin, für dessen Genehmigung sich die Behörden seinerzeit schlicht überfordert sahen, und das dennoch in nur 1,5 Jahren Bauzeit entstand. Erweiterungen in guten Zeiten, wie auch Anpassungen in schlechten Zeiten, Fusionen und Trennungen von Firmen hinterließen ihre Spuren. Wie bei den meisten Industriebauwerken typisch, erfolgten verschiedenste Nachnutzungen. Lokomotiven von Borsig aus Tegel werden dort schon lange nicht mehr hergestellt, aber die Industriegleise sind bis heute noch zu sehen. Damals war auch der Anschluss an einen Hafen ein entscheidender Standortvorteil. Verkehr und Transport sollten weiter wichtige Punkte bleiben.
Tor des ehemaligen Borsigwerks  in Tegel width=330
Borsigtor in Tegel

Der nächste Halt widmete sich dem Berliner Gaswerk Werk Tegel , welches die immense Fläche von der Wittestraße (Bahnanschluss) bis zum eigenen Hafen (Neheimer Straße/Borsigdamm) einnahm.

Mit einem Hinweis auf die älteste Pralinenmanufaktur Berlins – die Firma Sawade – konnte man dann nur wenige Meter weiter der Geschichte der Firma Sicilia (Zitronensaft) lauschen. Die heutige Wittestraße hieß damals übrigens Mühlenweg , weil die Reinickendorfer Bauern ihr Korn über diese Straßen zur Tegeler Mühle fuhren.

Zur Geschichte der Industrie gehört aber auch, dass und wie sich Firmen um Wohnungen für die Arbeitskräfte kümmerten: Borsig bot seinen Mitarbeitern in der Räuschstraße Werkswohnungen an, wobei es drei unterschiedliche Wohnungstypen gab. Höhergestellte Mitarbeiter erhielten die größeren Wohnungen, einfache Arbeiter mussten sich mit 28qm bzw 56qm große Wohnugen begnügen. Die Häuser und Fassaden dieser Wohnungen waren alle ganz unterschiedlich gestaltet und sind auch heute noch durchaus sehenswert. Denn im Unterschied zu den Arbeitersiedlungen im Ruhrgebiet hatten die Häuser in Borsigwalde alle schmucke Fassaden und waren in der Regel auch größer. Nicht unerwähnt soll dabei bleiben, dass nur wenige Grundstücke entfernt auch ein Lager für Schießpulver entstand – zum Glück kam es nicht zum großen Unglück.

Räuschstr in Borsigwalde width=330
Räuschstraße in Borsigwalde

Nach einer kurzen Kaffeepause wurde das Gebäude der Raboma (Radialbohrmaschinen) in der Miraustraße 48 besichtigt. Im Zuge der 1. industriellen Revolution wurde der Metall- und Maschinenbau ebenso wie der Werkzeugbau auf Serienfertigung umgestellt. Begünstigt wurde dies durch die vom Fabrikanten Schöning eingeführte Innovation, die Bohrmaschinen mit Elektromotoren auszurüstenn anstatt sie wie bis dato über Transmissionsriemen anzutreiben. Das vom Architekten Buch konzipierte Gebäude mit seiner ansprechenden Fassade hat eine beeindruckende Länge. Das ermöglichte es, die komplette Produktion in einer einzigen Fertigungsstraße mit kurzen Transportwegen aufzuziehen. Sogar die Verwaltung war im gleichen Gebäude mit untergebracht. Ein eigenständiges Verwaltungsgebäude wurde erst später, in den 1930-er Jahren, errichtet.

RaBoMa in der Miraustraße width=330
Ehemals RaBoMa, Miraustr. 48

Auf dem gegenüberliegenden Industriegelände zwischen Holzhauser Straße und Eichborndamm wurde dann auch über die Rüstungsindustrie, DWM-Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken, gesprochen, welche nach 1945 dann als DWM-Deutsche Waggon- und Maschinenfabriken, Doppelstock-Omnibusse und U-Bahnen baute bzw. wartete.

Der damaligen Gemeinde Dalldorf (heute Wittenau), wie auch dem Bezirk Reinickendorf hat die industrielle Entwicklung natürlich hohe Einnahmen beschert. so dass man sich ein entsprechend repräsentatives Rathaus – das heutige Rathaus Reinickendorf – leisten konnte. Eine ganz eigene Art der Nachnutzung ist für das Produktionsgebäude einer Bäckerei (Geschi Brot, Alt-Wittenau 89) zu verzeichnen: dort ist heute eine Kindertagesstätte untergebracht.

Rathaus Reinickendorf width=330
Reinickendorfer Rathaus

Den Abschluss der historischen Radtour bildete ein Industriegelände am S-Bahnhof Wittenau/Nordbahn: drei ältere Gebäude bilden heute Teile eines Heimwerker- und eines Supermarktes. Das Gelände wurde einst wegen der Nähe zur Bahn als Industriestandort angelegt. Neben der Produktion von Kugellagern wurden hier u.a. von der Firma Barthelmes Spiralbohrer gefertigt. Heute gibt es dort keinen Bahnanschluss mehr.

Bei inzwischen schönem Wetter ging die Tour nach knapp drei Stunden und ca. 9km hier zu Ende. Eine Wiederholung ist im kommenden Frühjahr vorgesehen.