Reinickendorfer Industriegeschichte-III 2020-10-18 (Bericht)

Bei trübem Herbstwetter trafen sich 18 geschichtsinteressierte Teilnehmer am S-Bahnhof Waidmannslust zur industriehistorischen Radtour-III, die vom ADFC-Reinickendorf gemeinsam mit dem Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv (BB-WA) durchgeführt wird. Anknüpfend an die vorherige industriehistorische Radtour-II führte Herr Norbert Ritter als eherenamtlicher Mitarbeiter des Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv die Gruppe durch Waidmannslust, Wittenau und Tegel.

Gestartet wurde um 10:00h am S-Bhanhof Waidmannslust. Dieser Bahnhof – an den Gleisen der Nordbahn gelegen – wurde auf Betreiben des Försters und Gastwirts Bondich im Jahr 1884 als Bedarfshaltestelle eingerichtet. Zu der Zeit verlief die Nordbahn noch ebenerdig; erst 1912 wurde sie auf das heutige Niveau angehoben.

S-Bahnhof Waidmannslust width=330
Start am S-Bahnhof Waidmannslust

Der erste Halt der Tour war in der Cyclopstraße, dort wo Reste der ehemaligen Bahnlinie Tegel-Friedrichsfelde noch in der Straße zu sehen sind. Hier hatte die Maschinenfabrik Cyclop ihr Werk. In den achtziger Jahren des 19-ten Jahrhunderts wurden hier u.a. tonnenschwere Dampfwalzen gebaut. Nach dem ersten Weltkrieg nutzte die Berliner Straßenbahn das Cyclop-Gelände.

Die Tour führte durch den Blombergerweg zur Hermsdorferstraße im Ortsteil Wittenau ehemals Dalldorf. Hier konnten gleich 4 historische Industrieansiedlungen bestaunt werden: die ehemalige Maschinenfabrik Alfred Teves (ATE), das Gebäude wird heute vom Romain-Rolland Gymnasium genutzt. Gegenüber die Fabrik des auf Bühnen- und Veranstaltungstechnik spezialisierten Unternehmers Max Hensel, der im zweiten Weltkrieg katapultartige Abschussrampen für Kampfflugzeuge konzipierte, wie sie heute auf großen Flugzeugträgern eingesetzt werden. Dann noch die Firma Collonil, die mit ihren Schuhpflegeprodukten u.a. das Militär versorgte und damit große Geschäfte machte; und nicht zuletzt der Güterbahnhof, an den alle umliegenden Industriebetriebe angeschlosssen waren und der um einiges größer war als der Lübarser Güterbahnhof.

Weiter ging es durch den Steinbergpark und nach einem kurzen Stopp am Nordgraben gelangte man zum Tegeler Hafen und der Humboldt-Mühle. Die Radelnden erfuhren hier die wechselvolle Geschichte der Mühle, die 1361 erstmals geschichtlich erwähnt wird und somit eines der ältesten Bauwerke Tegels ist. Dort wo heute Wohngebäude auf der Humboldtinsel stehen befand sich ein riesiger Waren-Umschlagplatz mit Kränen und Anlegestellen für Frachtschiffe.

Halt am Nordgraben width=330
Kurzer Halt am Nordgraben

Der nächste Halt galt den ehemaligen Borsigwerken mit dem Borsigtor an der Berliner-Straße. Nach dem Tod (1878) des Gründers August Borsig übernahmen seine 3 Söhne im Jahr 1894 die Leitung des Werks. Im Zuge der Industriewanderung an den Berliner Stadtrand siedelte sich die Firma Borsig im Jahr 1899 in Tegel an. Hier entstand für damalige Verhältnisse ein hochmodernes, auf Fließbandarbeit ausgelegtes Werk. Im Jahr 1902 wurde die 5000. Lokomotive der Borsigweke in Tegel gebaut. Der Betrieb florierte und wuchs weiter. Im Jahr 1924 wurde der Borsigturm als erstes Hochhaus Berlins fertiggestellt.

Ehemalige Gießerei des Borsigwerks width=330
Ehemalige Gießerei auf dem Borsiggelände

Nach kurzem Zwischenstopp unter dem Stahlgerüst der ehemaligen Gießerei und einem Halt am ehemaligen Hafen des Tegeler Gaskraftwerks an der Neheimerstraße ging es zur früheren Fabrik des Unternehmers Egells in der Neheimerstr/Namslaustraße. Egells war ein begnadeter Konstrukteur, der Anfang des 19. Jahrhunderts Dampfmachinen kleiner Leistung (20 PS) baute und Patente darauf erwarb. Einer seiner Lehrlinge war August Borsig.

Vorbei an den früheren Fabrikhallen in der Namslaustraße endet die Tour nach gut 3 Stunden in der Egellsstraße am U-Bahnhof Borsigwerke. Eine Fortsetzung der Veranstaltungsreihe ist für 2021 angedacht.