Wie steht die SPD in Reinickendorf zur Verkehrswende?

Als Stadtteilgruppe des ADFCs verfolgen wir aufmerksam die verkehrspolitischen Diskussionen im Bezirk und fordern die politisch Verantwortlichen immer wieder auf, dem Klimaschutz und dem Radverkehr mehr Raum zu geben.

So wundert uns das Verhalten der SPD in Reinickendorf zu einigen verkehrspolitischen Themen:

1) Die Bürgerinitiative Waldseeviertel wehrt sich seit über 20 Jahren gegen den ständig zunehmenden Durchgangsverkehr in ihrem Wohngebiet. Sie hatte im vergangenen Jahr mit dem Bezirksamt einen Zeitplan zur Abhilfe “bis Jahresende 2019” vereinbart. Nach etlichen anderen erfolglosen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung war nun die versuchsweise Umsetzung von Modalfiltern an zwei Straßen (mit Hilfe von Blumenkübeln) als schnelle und zugleich auch sehr preiswerte Lösung vorgeschlagen. Hierdurch würde die Verbindung zu den angrenzenden Nachbarn nicht gekappt, jedoch würde der KFZ-Durchgangsverkehr damit unterbunden. Der Antrag hätte nach der überaus intensiven Diskussion noch in der Dezembersitzung 2019 verabschiedet werden können – wäre er nicht wieder vertagt worden, nur um den Antrag erneut umzuformulieren. Bei den einschlägig bekannten Auto-Befürwortern von AFD und CDU war das Zähneknirschen ob der vorgesehenen Maßnahmen deutlich zu vernehmen – aber selbst sie stimmten dem Vorschlag zu.

In einem fraktionsübergreifenden Beschluss aller Parteien hatte sich der Verkehrsausschuss dann auf der Sitzung im Februar 2020 schließlich einstimmig für die Modalfilter-Lösung ausgesprochen.

Somit schien der Beschluss in der März-Sitzung der BVV (2020) nur noch eine Formsache zu sein. Jedoch wenige Tage vor der BVV-Sitzung kam die SPD plötzlich mit einem neuen Antrag daher, den man getrost als Blockademaßnahme bezeichnen darf. Zu einer Aussprache kam es jedoch nicht, denn zu Beginn der BVV-Sitzung wurde zunächst über die bestehenden Corona-Maßnahmen beraten woraufhin die Sitzung kurzerhand abgesagt wurde. Die zahlreichen Besucher – auch aus Glienicke – äußerten deutlich ihren Unmut. Dem stillen Beobachter fiel auf, wer von den BVV-Mitgliedern danach die Köpfe freudig strahlend zusammensteckte und sich über die weitere Verzögerung freute.

2) In die gleiche BVV-Sitzung sollte auch ein Antrag eingebracht werden, überschrieben mit dem Titel “Sicher mit dem Fahrrad von Tegel nach Lübars I”. Getragen wurde dieser Antrag von mehreren Parteien – nicht jedoch von der SPD.

3) Auf Landesebene schreibt das Mobilitätsgesetz für jeden Bezirk einen Fahrrat vor. Als der Antrag, einen solchen auch in Reinickendorf wieder einzurichten, im Verkehrsausschuss abgestimmt wurde, konnte sich die SPD nur zu einer Enthaltung durchringen. Das ist uns vom ADFC höchst negativ aufgefallen und unangenehm in Erinnerung geblieben.

4) In anderen Bezirken entstehen derzeit Pop-up Bikelanes, es wird Geld für Radverkehr ausgegeben oder zumindest verplant, es gibt Ideen und Vorschläge. In Reinickendorf erwartet niemand mehr, dass sich das CDU-geführte Bezirksamt solchen Ideen öffnet und ähnliche Maßnahmen im Bezirk ergreift. Ja, nicht einmal die Ankündigungen aus dem Jahr 2016 sind bis heute umgesetzt worden. Zu all dem schweigt die SPD, getreu dem Motto: wer keine Meinung äußert, der kann auch nicht anecken. Wäre es nicht Aufgabe der SPD, den Bezirk voranzubringen und Ideen dafür zu entwickeln – wenn man denn welche hat?

Angesichts dieses Verhaltens der Reinickendorfer SPD muss die Frage erlaubt sein, wie sich die Partei im Zeichen der sich anbahnenden Klimakatastrophe zur Verkehrswende positioniert. Offensichtlich überwiegen hier persönliche Interessen und individuelle Befindlichkeiten. Der Gedanke an das Gemeinwohl und die Zukunft der jüngeren Generation steht wohl nicht vorne an.

Eine abweichende Meinung zu anderen Parteigliederungen zu haben, ist nicht schlimm, wenn man die eigene Meinung zumindest begründen kann. Aber die eigene Meinung nach Gutdünken zu ändern oder vorsorglich gar nicht erst zu äußern zeugt von Beliebigkeit, Unberechenbarkeit und Unzuverlässigkeit. Das muss man sich als Partei erst einmal leisten können.

Wie sieht es im Mai 2020 aus?

Drei Vorschläge gab es in Reinickendorf zu Pop-up Bikelanes, sie wurden allesamt in den Verkehrsausschuss verwiesen, mit der Begründung der SPD “Damit wir in Ruhe darüber beraten können.” Als ADFC hätten wir hier eine klare Position dazu erwartet. Wer wirklich etwas verändern will, der handelt anders. Inzwischen sind die drei Anträge von den anderen Parteien im Verkehrsausschuss abgelehnt worden – das war bei den Mehrheitsverhältnissen nicht anders zu erwarten.

Bzgl. der Modalfilter kündigte die SPD den All-Parteien-Kompromiss vom Februar/März (2020) auf und erzwang eine weitere Debatte im BVV-Plenum: zwei Stunden Diskussion ohne neue Argumente. Am Ende rang sich die SPD dann zu einer lauen Enthaltung durch – während alle anderen Parteien zu Ihrem Wort standen.

Wir werden weiter beobachten, ob sich die SPD mit der gleichen Vehemenz auch für Radverkehr einsetzt, wie sie es gegen Modalfilter tat, und ob sie auch dafür eine Aussprache in der BVV erzwingt. Vielleicht findet sie ja bald auch zu einer Linie und zu einer eigenen Position.