Infrastruktur für den rollenden Radverkehr

In vielen Teilen Berlins ist die Radverkehrsinfrastruktur noch geprägt durch die sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts, als Radverkehr bestenfalls am Rande leistungsfähiger Autopisten geduldet wurde. Schmale Bordsteinradwege, oft im Nichts endend, für Autofahrer kaum einsehbar, in uraltem Verbund-Pflaster ausgeführt, trotz alledem auch noch oft als benutzungspflichtig ausgewiesen, Kreuzungsquerungen über mehrere Ecken und mit endlosen Wartephasen – all dies hielt und hält viele Berlinerinnen und Berliner vom Radfahren ab.

Die spürbaren Verbesserungen im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends sollten jedoch bewiesen haben: Ein gutes Angebot schafft sich seine Nachfrage.

„Wer gute Radverkehrsinfrastruktur sät, wird mehr Radverkehr ernten!“

Dabei geht es nicht darum, Radwege oder Schutzstreifen allein zur Verbesserung der Kilometer-Bilanz anzulegen. Für den ADFC gilt vielmehr der Grundsatz: Auf allen Straßen muss der Radverkehr legal, sicher und komfortabel möglich sein. Wie dies geschieht, ist situationsangepasst nach den auch im Land Berlin eingeführten Regelwerken zu entscheiden:

  • Mischverkehr ohne Schutz- oder Radstreifen ist der Regelfall in Tempo-30-Zonen.
  • Radfahr- oder Schutzstreifen sind als Regellösung in Hauptverkehrsstraßen vorzusehen. Es kann aber auch Situationen geben, in denen ein baulicher Radweg die beste Lösung ist. Notfalls müssen auch Anwohnerinteressen hinter die Belange der Verkehrssicherheit zurücktreten, wenn sich z.B. nur durch Aufgabe von Parkplätzen ausreichend breite Radverkehrsanlagen herstellen lassen.

Ist in einer Hauptstraße aus Platzgründen – d.h., wenn trotz des Verzichts auf den ruhenden Kfz-Verkehr am Fahrbahnrand die Fahrbahnbreite nicht für die Markierung von Schutzstreifen ausreicht – keine regelgerechte Radverkehrsanlage herstellbar, muss wenigstens das Kfz-Tempo reduziert werden. London und Paris machen dies vor: In den zentralen Lagen gilt in diesen Städten seit kurzem „twenty miles“, bzw. Tempo 30.

Weiterhin soll den Zielen der Radverkehrsstrategie durch folgende Maßnahmen Rechnung getragen werden:

  • Radwege, Radfahrstreifen und Schutzstreifen sind in Querungs- und Abbiegebereichen farbig zu asphaltieren, am besten in rot.
  • Der Bau gemeinsamer Geh- und Radwege bzw. die Freigabe der Gehwege für den Radverkehr ist insbesondere bei Neuplanungen zu vermeiden. Alte Radwege, die nicht mehr der Benutzungspflicht unterliegen, sind trotzdem benutzbar und verkehrssicher zu halten. Alle Radwege sollen grundsätzlich asphaltiert, bei Grundstücksausfahrten erhöht und klar vom Gehweg abgegrenzt werden.
  • Zusätzlich sind autoverkehrsfreie Verbindungswege (z.B. Parkanlagen) in einem Zustand zu halten oder in einen Zustand zu versetzen, der sie für einen Zweirichtungs-Radverkehr qualifiziert.
  • Für Radwege, Schutz- oder Radstreifen dürfen im Regelfall nicht Mindestbreiten angesetzt werden, sondern mindestens die Regelbreiten und sonstige Standards der „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA 2010).
  • Die Oberflächenqualität separater Radwege sollte mindestens der Fahrbahn entsprechen, in Straßen mit historischem Pflaster deutlich besser sein.
  • An Kreuzungen muss der Radweg ohne verbleibende Kante abgesenkt werden.
  • Die Freigabe von Einbahnstraßen in Gegenrichtung für den Radverkehr erhöht nachweislich die Verkehrssicherheit und sollte ggf. mit Wegfall von Kfz-Stellplätzen und Einrichtung von Ausweichstellen geprüft werden.
  • Grüne Welle: Ampelschaltungen sind so zu optimieren, dass Radfahrende in einer Grünphase die ganze Kreuzung queren können, bzw. bei längeren Straßen mit Tempo 20 zwei oder mehrere Ampeln bei grün passiert werden können. In verkehrsarmen Zeiten (nachts und feiertags) sollten Ampeln wenn möglich abgeschaltet werden.
  • Auf Ampelregelungen innerhalb von Tempo-30-Zonen ist nach Möglichkeit zu verzichten; sie sind ggf. durch Minikreisverkehre zu ersetzen. Im Minikreisverkehr ist der Radverkehr auf der Fahrbahn zu führen.
  • An Kreuzungen, die aufgrund der langen Rotphase dafür geeignet sind, erhält der Radverkehr eine Aufstellfläche vor den wartenden Kfz (aufgeweiteter Radaufstellstreifen, ARAS).
  • Bei Kreuzungen und Einmündungen mit separater Rechtsabbiegerspur ist – bei entsprechendem Bedarf – der geradeaus fahrende und/oder linksabbiegende Radverkehr rechtzeitig links neben dem rechtsabbiegenden Kfz-Verkehr zu führen oder hat neben einer ausreichend breiten Fahrspur eine eigene Ampelphase.
  • Getrennte Signalisierung des Radverkehrs bei zweistreifigem Kfz-Abbiegen – wie bereits seit Jahren durch die Verkehrslenkung Berlin zugesichert.
  • Geeignete Straßen sind als Fahrradstraßen auszuweisen.
  • Der Neubau fehlender oder die Instandsetzung untauglicher Brücken und Unterführungen muss durchgeführt werden.
  • Am Ende von Sackgassen sind für den Radverkehr Durchlässe einzurichten, wenn die Bebauung es zulässt.
  • Es soll ein eigener Haushaltstitel bereitgestellt werden, um einen Radschnellweg (entsprechend den Kriterien der FGSV und des Landes Nordrhein-Westfalen) realisieren zu können. Denkbare Trassen wären die stillgelegte Siemensbahn oder eine Verbindung zum bald ehemaligen Flughafen Tegel.
  • Die steigende Zahl von Pedelecs und E-Bikes bedeutet auch, dass viele Berliner und Pendler aus dem Umland einen größeren Alltagsradius per Rad realisieren können – 10 km und mehr je Richtung. Wir halten es für angemessen, den Kernbereich der Stadt und den größten Innovations-Park, den ehemaligen Flughafen Tegel, mit einem schnellen Radweg zu verbinden und dafür auch ein Brücken-Bauwerk zu errichten, das ein kreuzungsfreies Vorankommen ermöglicht.
  • Das stadtweite Beschilderungssystem der Routennetze für den Radverkehr und die Wegweisung sind konsequent auszubauen. Das setzt auch voraus, dass die jeweilige Strecke tatsächlich und rechtlich einwandfrei befahrbar ist. Hierzu ist es notwendig, systematisch die zahlreichen noch vorhandenen Lücken zu schließen.