Baustellen: Maßnahmen erforderlich

Berlin ist eine Stadt, die immer im Werden ist und niemals fertig wird. Baustellen gehören zwangsläufig dazu und vermitteln den Eindruck, dass es irgendwann einmal besser wird. Das Mobilitätsgesetz von 2018 schreibt vor: „Beschränkungen des verfügbaren Straßenraums sollen nicht zu Lasten des Umweltverbundes erfolgen“ – gemeint sind Fußgänger, Radfahrer und ÖPNV. Doch die Wirklichkeit sieht immer noch anders aus.

Mindestens seit der Radverkehrsstrategie von 2013 soll der Radverkehr an Baustellen sinnvoll geführt und nicht mehr als unbedingt notwendig beeinträchtigt werden. Aber bei aktuellen Baustellen hat man den Eindruck, als wenn die beteiligten Stellen (Verkehrsbehörden, Auftraggeber, Aufsteller von Schildern, Baufirmen) von diesen Regelungen und auch von den Bestimmungen des Mobilitätsgesetzes noch nichts gehört hätten.

Beispiele stehen in folgenden Artikeln:

Geltende Gesetzeslage und unklare Praxis

Das Mobilitätsgesetz vom 5. Juli 2018 schreibt vor:

§ 39 – Planung, Verkehrsführung und Information bei Baumaßnahmen

(1) Während aller Baumaßnahmen mit Auswirkungen auf das öffentliche Straßenland soll eine sichere Radverkehrsführung sichergestellt werden. Müssen Abschnitte von Straßen oder anderen Elementen im Radverkehrsnetz vollständig gesperrt werden, so ist für ausgewiesene Umfahrungsstrecken zu sorgen. Beschränkungen des verfügbaren Straßenraums sollen nicht zu Lasten des Umweltverbundes erfolgen.

(2) Der für den jeweiligen Abschnitt relevante Verkehrszeichenplan ist vor Ort öffentlich einsehbar und barrierefrei zugänglich durch den Bauherrn oder den beauftragten Unternehmer nach § 45 Absatz 6 der Straßenverkehrs-Ordnung auszuhängen. Über Beginn und Ende von Baumaßnahmen mit Auswirkungen auf das öffentliche Straßenland ist im Internet fortlaufend zu informieren.

(3) Bei der Planung von Baumaßnahmen im Straßenland ist zu prüfen und bei relevanten Vorhaben zu dokumentieren und unverzüglich im Internet zu veröffentlichen, inwieweit mit dem Abschluss der Baumaßnahme eine Radverkehrsanlage im Sinne dieses Gesetzes und der weiteren Regelwerke geschaffen werden kann. Bei jeder Planung und Baumaßnahme des Landes Berlin müssen die Bedürfnisse des Radverkehrs für künftige Planungen berücksichtigt werden.

Für die verkehrsrechtliche Anordnung sind verschiedene Stellen zuständig (jeweils in Zusammenarbeit mit der Polizei und dem Straßenbaulastträger):

Soweit die Theorie. In der Praxis beauftragt der Bauherr (z.B. Wasserbetriebe oder BVG) eine Firma mit der Ausführung; diese beauftragt eine Firma mit dem Baustellen-Service; diese stellt den Antrag bei der Straßenverkehrsbehörde und reicht dazu alle Pläne ein (Sperrungen, Verkehrsführung, Beschilderung, ggf. Ampeln). Die Genehmigung der Pläne gilt als verkehrsrechtliche Anordnung. Wir als Nutzer der Straßen erfahren aber nicht, wer welche Regelungen an Baustellen geplant hat und welche Gründe die Pläne beeinflusst haben. Wir sehen nur das Ergebnis und können uns kaum wehren.

Auch das seit Jahren bestehende Internet-Portal Radverkehr an Baustellen mit einer E-Mail-Adresse hilft nur bedingt weiter. Vielleicht erhält man einen Hinweis, dass die Nachricht an die zuständige Stelle weitergeleitet wurde; vielleicht eine allgemeine Begründung für die Regelung. Aber eine Änderung der unbefriedigenden Regelung?

Dringende Verbesserungen nötig

Auch bei Baustellen wollen wir erkennen, dass sich in der täglichen Fahrpraxis etwas verbessert. Das gilt unabhängig von der künftigen Struktur der VLB.

Technische Richtlinien für Baustellen

Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz muss – unter Beteiligung des landesweiten FahrRats – neue Leitlinien für Baustellen erstellen. Die bisher geltenden Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA-95) sind teilweise überholt und entsprechen vor allem nicht den Zielen und Bedingungen des Mobilitätsgesetzes. Die neuen Leitlinien müssen diese Richtlinien ersetzen und die Berliner Behörden binden; erforderlich sind beispielsweise die folgenden Punkte.

  • Eine Benutzungspflicht für Radstrecken darf in der Regel nicht angeordnet werden, wenn der Radverkehr nur wegen einer Baustelle anders geführt werden soll. (Ausnahme natürlich dann, wenn der „verlegte“ Radweg eine Benutzungspflicht vorsieht.)
  • Gemeinsame Geh- und Radwege während einer Baustelle sind weitestgehend zu vermeiden. Wenn eine solche Streckenführung angemessen erscheint, ist die Beschilderung als Gehweg freigegeben für Radverkehr vorzuziehen.
  • Markierungen für temporäre Strecken (gleichgültig ob mit Schutzstreifen, Radfahrstreifen oder Hochbordweg) dürfen Mindestbreiten nicht unterschreiten: 2,85m für den Kraftverkehr sowie 1,00m für den Radverkehr. (Begründung siehe Greifswalder Straße / Christburger Straße vom 13.06.2018)
  • Wenn eine Radstrecke wegen einer Baustelle verschwenkt wird, sind abrupte Richtungswechsel zu vermeiden. In aller Regel darf es keine 90-Grad-Ecken durch temporäre Markierungen oder Baustellenbegrenzungen geben.
  • Vorübergehende Auf- und Abfahrten zwischen Fahrbahn und Geh-/Radweg oder Überfahrten bei Baustellen auf Grundstücken sind so auszuführen, dass keine „Stufen‟ zu überfahren sind.
  • Zur Genehmigung gehört natürlich der Hinweis auf § 39 MobG und der frei zugängliche Aushang.
  • Der Aushang muss mindestens an der ersten und der letzten Begrenzung einer Baustellen sichtbar angebracht werden. (Die „letzte“ Stelle ist relevant, weil häufig auch Fußgänger von einer Maßnahme für Radfahrer betroffen sind; so etwas gilt auch für Einbahnstraßen.)

In Bayern gibt es seit 2015 und in Baden-Württemberg seit 2017 solche aktualisierten Hinweise. Berlin, das sich seines Mobilitätsgesetzes rühmt, muss sich zügig darum kümmern.

Ordnungsamt online

Dieses Internet-Portal wird auch für Meldungen zum Verkehr oder zu Straßenschäden benutzt. Seine Arbeitsweise muss unbedingt geändert werden: Wenn eine Meldung an die zuständige Stelle weitergeleitet wurde, darf sie noch nicht als „erledigt‟ markiert werden, sondern sie ist noch „in Bearbeitung‟. Erst wenn die zuständige Stelle die Meldung abschließend bearbeitet hat, darf der Vermerk zur Erledigung eingetragen werden.

Weitere organisatorische Maßnahmen

Wo gibt es eigentlich die geforderte fortlaufende Information über Baumaßnahmen im Internet?

Was zum Ordnungsamt online gesagt wurde, gilt auch für Hinweise zu Baustellen. Eine Meldung muss innerhalb einer Woche zur Kenntnis genommen werden und soll eine aussagefähige Antwort bekommen:

  • nicht nur „an die zuständige Stelle weitergeleitet“, sondern „an folgende Stelle weitergeleitet“ mit Kontaktdaten
  • nicht nur „wir sind nicht zuständig“, sondern „an folgende zuständige Stelle weitergeleitet“ mit Kontaktdaten

Eine Meldung muss immer zum Anlass genommen werden, die Einrichtung der Baustelle zu prüfen. Zur Antwort gehört deshalb auch eine ausführliche Begründung.

Die jeweilige Behörde sollte eine solche Meldung nicht automatisch als Kritik an ihrer Arbeit verstehen, die (natürlich) zurückgewiesen wird. Im Sinne einer bürgernahen Verwaltung sollte sie es vielmehr als Verbesserungsvorschlag annehmen und möglichst umsetzen.

Kontrollen und Reaktionen

Ein Verstoß gegen die Anordnung oder die Pflicht zum Aushang muss selbstverständlich als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Das Mobilitätsgesetz muss insoweit offensichtlich nachgebessert werden (es sei denn, dass die Inhalte des ASOG genügen).

Strafen und dergleichen sind in einem Rechtsstaat nur durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zulässig. Sie stehen nicht im MobG; das Gesetz sieht keine Ausführungsvorschriften vor, in denen Anlass und Höhe des Ordnungsgeldes genannt werden könnten. Aber einfach darauf vertrauen, dass alles läuft?!

Von der Berliner Verwaltung erwartet niemand (mehr), dass die Einrichtung der Baustellen und die Einhaltung der Maßnahmen kontrolliert wird. Aber sobald die Verwaltung auf einen Verstoß oder eine ungeeignete Regelung hingewiesen wird, muss sie tätig werden. Das ist dann weniger eine Sache des Ordnungsamtes, sondern wegen der sachlichen Beurteilung Aufgabe der jeweiligen Genehmigungsbehörde.

Jürgen Thomas (Pankow)