Radverkehrsanlagen – sicher auch beim Überholen

Sichere Radverkehrsanlagen an jeder Hauptverkehrsstraße gehören zu den Zielen des Mobilitätsgesetzes (MobG). § 43 fordert u. a. eine ausreichende Breite, damit sich Radfahrende sicher überholen können.

Wir erläutern hier, warum zum sicheren Überholen von Radfahrenden untereinander mindestens eine Breite von 2,50 m notwendig ist – zuzüglich der Sicherheitsabstände von 0,25 m auf beiden Seiten.

Radwege – sicher in jeder Hinsicht

Mit dem Berliner Mobilitätsgesetz gibt es erstmals gesetzliche Regeln dafür, wie Radwege (allgemeiner „Radverkehrsanlagen“) gestaltet werden müssen. Sichere Radverkehrsanlagen (RVA) sind an jeder Hauptverkehrsstraße anzulegen – sicher in Abgrenzung zur Umgebung und zum übrigen Verkehr, aber auch damit sich Radfahrende sicher überholen können.

Detailliert beschreibt das Mobilitätsgesetz (MobG) die Anforderungen:

§ 43 – Radverkehrsanlagen an oder auf Hauptverkehrsstraßen

(1) Auf oder an allen Hauptverkehrsstraßen sollen Radverkehrsanlagen mit erschütterungsarmem, gut befahrbarem Belag in sicherem Abstand zu parkenden Kraftfahrzeugen und ausreichender Breite eingerichtet werden. Diese sollen so gestaltet werden, dass sich Radfahrende sicher überholen können. Aus Sicherheitsgründen sollte sowohl auf gemeinsam geführte Geh- und Radwege als auch auf zur Nutzung durch den Radverkehr freigegebene Gehwege möglichst verzichtet werden…

(2) Im Sinne vorausschauender Planung ist die in Umsetzung der Planung zu erwartende Radverkehrsnutzung bei der Dimensionierung zu berücksichtigen. Die Radverkehrsanlagen sollen so gestaltet werden, dass unzulässiges Befahren und Halten durch Kraftfahrzeuge unterbleibt…

Dieser Artikel beschreibt (ausgehend von Ergebnissen der Verkehrs-AG), warum eine Mindestbreite von 2,50 m notwendig ist und anders geartete Pläne mit einer Regelbreite von 2,00 m nicht ausreichen.

Physikalische Grundlagen

Ein Fahrrad benötigt grundsätzlich eine Fahrspur von 1,00 m Breite – „Verkehrsraum“ genannt. Dazu gibt es wenige öffentlich zugängliche Untersuchungen, insbesondere Der Sicherheitsabstand: Verhaltensweisen von Fahrradfahrern. Aber diese Breite lässt sich einfach herleiten:
  • Gängige Alltagsräder haben eine Breite von 55 bis 65 cm Breite (gemessen an der breitesten Stelle des Lenkers).
  • Radfahrende müssen pendeln, um das Gleichgewicht halten zu können, daher benötigen sie den Platz für das Pendeln. Unter normalen Bedingungen kann von einer durchschnittlichen Pendelbewegung von 0,20 m je Seite ausgegangen werden.

Beides zusammen ergibt die erforderliche Breite von 1,00 m. Sicherheitsabstände müssen zusätzlich berücksichtigt werden. Zum Überholen benötigt man also den zweifachen Verkehrsraum plus sämtlicher Sicherheitsabstände.

Dabei sind die Breiten und Art der Bewegung u. a. bei Lastenrädern, Handbikes oder Anhängern noch nicht berücksichtigt; sie erfordern zusätzlichen Bewegungsspielraum. Bei 1,00 m Verkehrsraum handelt es sich also um einen absoluten Minimalwert!

Abmessungen für RVA gemäß ADFC-Forderung

Platzbedarf zum sicheren Überholen (Grafik: Daniel Pepper)

Das Lichtraumprofil ergibt sich, wenn zum Verkehrsraum noch zusätzlich der Sicherheitsraum addiert wird; der „lichte Raum“ ist zwecks Befahrbarkeit stets freizuhalten. Der Sicherheitsbereich wird für viele Situationen benötigt – zum Ausweichen bei kleinen Hindernissen oder Unebenheiten, beim Überholen, neben parkenden Autos, Gehwegen, seitlichen Begrenzungen, Schildern und Ampeln, wuchernden Sträuchern oder abgestellten Fahrrädern. Andererseits kann im Ausnahmefall die Breite geringer sein, wenn der Bewegungsspielraum durch vorhersehbare Hindernisse (z. B. an Baustellen oder Haltestellen) eingeschränkt ist; die o. g. Untersuchung geht in einer solchen Situation von 0,80 m Verkehrsraum aus.

ERA 2010

Die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) bilden bereits bisher die Grundlage für Neu- und Umbau von Anlagen für den Radverkehr. Grundsätzlich gehen auch die ERA von der genannten Breite von 1,00 m aus (Seite 16) und leiten daraus ohne weitere Erläuterungen die Breite von verschiedenen Radverkehrsanlagen ab (jeweils einschließlich Markierung). „Bei sehr starkem Radverkehr und bei häufiger Nutzung durch mehrspurige Fahrräder sind größere Breiten zweckmäßig“, werden aber nicht vorgeschrieben.
  • Schutzstreifen im Regelfall von 1,50 m, mindestens 1,25 m
  • Radfahrstreifen regulär 1,85 m
  • Einrichtungsradweg im Regelfall von 2,00 m, bei geringer Verkehrsstärke 1,60 m

In diesem Artikel wird nur der benötigte Raum zum Überholen von Radfahrenden untereinander betrachtet. Die Überholabstände von Kraftfahrzeugen zu Fahrrädern müssen unabhängig davon mindestens 1,50 m betragen.

Darauf, dass sich Radfahrende gegenseitig überholen, gehen die ERA überhaupt nicht ein. Lediglich „Begegnen“ (Verkehrsraum von 2,00 m) und „Nebeneinanderfahren“ (Verkehrsraum von 2,30 m mit einem 2-rädrigen Anhänger) werden betrachtet, und zwar ohne zusätzlichen Abstand zwischen zwei Radfahrenden.

Wie sich starker Radverkehr auf die nötige Breite auswirkt, nennt eine niederländische Anleitung für Radverkehrsinfrastruktur (Design manual for bicycle traffic, CROW Platform, 2016, ISBN 978-90-6628-659-7, hier: Seite 237):

Fahrräder/Stunde
(Hauptverkehrszeit)
Radwegbreite
0 – 150 2,00 m
150 – 750 2,50–3,00 m
> 750 3,50–4,00 m

An den Berliner Dauerzählstellen wird die mittlere Stufe meistens erreicht, teilweise (Jannowitzbrücke, Oberbaumbrücke, Maybachufer) gibt es auch Spitzenwerte. Damit werden Radwegbreiten über das Minimum hinaus noch wichtiger.

Ergänzende Überlegungen

Immer wieder gibt es persönliche Äußerungen oder kurze Filme im Fernsehen, dass zwei Personen auch bei 2 m Breite problemlos nebeneinander fahren könnten. Das trifft in der Regel zu, soweit beide „zusammen“ fahren, hat aber nichts mit Überholvorgängen zu tun.

„Überholen“ kommt auf RVA jeder Art ständig vor. Während der Kraftverkehr die jeweils geltende Höchstgeschwindigkeit einheitlich fahren kann, konkurrieren auf Radwegen Radfahrer*innen mit mehreren Geschwindigkeiten von etwa 10, 20 und 30 km/h.

Dabei ist „vorsichtiges Vorbeifahren“ auch bei etwas schmaleren Wegen möglich – beispielsweise mit Ankündigung oder Klingeln und einer nur geringfügig höheren Geschwindigkeit. In der Fahrradrecht-Datenbank des ADFC wird ein Urteil des OLG Frankfurt/Main vom 29.11.1989 erwähnt: „Auf einem 1,70 m breiten Radweg darf ein Radfahrer jedenfalls dann überholen, wenn er seine Überholabsicht durch Klingeln angezeigt hat und der Vorausfahrende dies wahrgenommen hat.“ Diese Breite ist aber bei heutigem Radverkehr und der angestrebten Steigerung des Radverkehrsanteils bereits unzureichend.

„Sicheres und zügiges Überholen“ dagegen verlangt einen ausreichenden und damit deutlich größeren Sicherheitsabstand. Wegen der Pendelbewegungen beider Fahrräder muss der Sicherheitsabstand zum Pendelbereich addiert werden; es genügt nicht, dass der Bereich zwischen den Lenkern als Abstand „zweckentfremdet“ wird. Wenn Kraftfahrzeuge bei einer Geschwindigkeitsdifferenz von etwa 30 km/h einen Abstand von 1,50 m einhalten müssen, kann man bei Fahrrädern mit einer Differenz von 10 km/h einen Abstand von 0,50 m als angemessen ansehen. Als Regelbreite für einen Radweg ergeben sich also mindestens 2,50 m (nämlich doppelter Verkehrsraum von je 1,00 m zuzüglich Sicherheitsabstand).

Zusammenfassung

Die Erkenntnisse zur Verkehrssicherheit müssen Allgemeinwissen werden. Der Radverkehr muss sicherer werden – nicht nur in Abgrenzung zum Kraftverkehr, sondern auch für die Radfahrenden untereinander. Dazu gehört eine Mindestbreite von 2,50 m für Radverkehrsanlagen. Wenn der Anteil des Radverkehrs in Zukunft (wie erwartet) weiter steigt, werden auch die Anforderungen an die Breite steigen.

Alle Planer in Bund, Ländern und Bezirken müssen diese Bedingungen beim Ausbau der Radverkehrsanlagen berücksichtigen. Alle Personen, die sich mit der Verkehrssicherheit befassen, müssen dieses Wissen aufnehmen und weitergeben; auch die ERA der „nächsten Generation“ müssen es widerspiegeln. Das trägt zur Sicherheit aller Radfahrenden bei.

Autor: Jürgen Thomas